Archiv der Kategorie: Fotografie

Würdevoll geschlagen: Drummer Manu Katché gastiert beim Rheingau Musik Festival 2010

„Open Air im Rheingau oder doch lieber Wiesbadener Kurhaus?“ – das war die wohl meist diskutierte Frage unter all denjenigen, die eine Karte für das Manu Katché Konzert am 11. August ergattern konnten. Um 12 Uhr fiel die Entscheidung: Kurhaus. Der Deutsche Wetterdienst hatte gesprochen. Eine Stunde später als auf Schloss Vollrads, um 20 Uhr, kommt Manu Katché samt dreiköpfiger Band auf die Bühne des Thiersch-Saals. Das ausverkaufte Haus tobt, obwohl das Ausnahmetalent am Schlagzeug noch keinen Ton gespielt hat.

Der Abend steht ganz im Zeichen des aktuellen Albums „Third Round“. Und schon die CD gibt einen ersten Vorgeschmack auf das, was in den nächsten 90 Minuten folgt: Eine spielfreudige Band, „dirigiert“ und angetrieben durch den Mann am Schlagzeug. Er ist Triebwerk und Treibstoff, Navigator und Kapitän in einer Person. Dabei versteht er es wie kein Zweiter seines Fachs, die zu Zuhörer zu verzaubern. Im Gegensatz zu den Meisten seiner Kollegen am Drumset schafft er den perfekten Spagat zwischen lauten und leisen Tönen. Er steht nur selten direkt im Mittelpunkt, ist aber immer involviert. Unaufdringlich, markant, mit sehr viel Stil und noch mehr Rhythmusgefühl geht der 1958 geborene Franzose zu Werk. Mal streichelt er Snare und Hi-Hats mit den Besen, mal bearbeitet er Toms und Becken rasant mit den Sticks. Und wer Schlagzeugern bislang immer den pauschalen Stempel „Grobian“ aufgedrückt hat, der wird bei Manu Katché definitiv eines Besseren belehrt.

Die Songauswahl erweist sich als genau richtig, schnelle, groovige Stücke wie „Keep On Trippin’“ folgen auf Balladen, darunter das grandios-melancholische „Springtime Dancing“ oder das herrlich gefühlvolle „Une L’Arme Dans Ton Sourire“. Die Band indes präsentiert sich wie aus einem Guss – harmoniert perfekt, die Musiker verstehen sich blind. Besonders gefällt Alfio Origlio am Piano, der für seine Soli auch gerne mal gleichzeitig in die Tasten des Fender Rhodes und des Flügels haut. Virtuos präsentiert sich auch der Norweger Tore Brunborg am Saxophon, der die wunderschönen Melodien perfekt intoniert und mit seinem Instrument fast über den Wolken aus Piano-Akkorden zu schweben scheint. Auch Laurent Vernerey am Bass macht seine Sache gut – leider darf er solo-technisch nicht ganz so häufig ran – obwohl er es bestimmt gekonnt hätte.

Optisch abgerundet wird die musikalische Darbietung durch stimmungsvolle Projektionen. Bei vielen Künstlern übertrieben, setzt der VJ die visuellen Effekte bei Manu Katché genau richtig und sehr dezent ein. Das Ergebnis ist ein stimmungsvoller Gesamteindruck auf höchstem Niveau.

Nach zwei Zugaben – die erste mit einem furiosen, minutenlangen Drum-Solo – ist Schluss. Manu Katché zeigt sich als wahrer Gentleman und bedankt sich mehrfach beim hochzufriedenen Publikum, das Künstler und Band frenetisch feiert. Ein toller Abend mit wirklich großartiger Musik. Chapeau, Monsieur Emmanuel.

Wiesbaden – Havanna – Wiesbaden in 110 Minuten: Eliades Ochoa & El Grupo Patria im Kurpark

„Meine sehr verehrten Damen und Herren: Bitte bringen Sie zum Start ihren Sitz in eine aufrechte Position und schnallen Sie sich fest“ – wir heben ab nach Kuba! Karibik, Sonne, dicke Zigarren und der typische „son cubano“, die Musik Kubas, die Dank Musikern wie Ibrahim Ferrer, Omar Portuondo – und nicht zuletzt Eliades Ochoa – seit einigen Jahren in der ganzen Welt eine echte Renaissance erlebt.

Der Flieger, pardon, das Konzert von Eliades Ochoa und der Grupo Patria am Abend des 31. Juli ist schon lange ausverkauft, das Publikum wartet gespannt auf den „kubanischen Johnny Cash“, den Mann mit der Gitarre und dem schwarzen Hut. Und „Kapitän“ Ochoa legt mit seiner sechsköpfigen Crew gleich vom Start weg richtig los, bietet den Zuhörern einen tollen musikalischen Abend voller Herzschmerz und Emotion. Das Unterhaltungsprogramm „an Bord“ lässt keine Wünsche offen. Natürlich dürfen dabei auch die bekannten Klassiker des Buena Vista Social Clubs nicht fehlen: Bei „Chan Chan“ summen die Ersten mit, als die Band die zweite Konzert-Hälfte mit „El Carretero“ eröffnet, wird sogar vereinzelt mitgetanzt. Zwar noch im Hintergrund – aber der Bann scheint gebrochen. Mehr und mehr Paare und sogar Einzelpersonen kommen nach vorne.

Einzig das mit den elektronischen Geräten an Bord scheinen nicht alle verstanden zu haben: Ständig werden die Blackberrys oder Kompaktkameras gezückt, dauernd blitzt es von irgendwo. Doch Ochoa, der sich nach jedem Lied mit „Gracias a la grande familia“ bei seinen Zuhörern bedankt, zeigt sich davon völlig unbeeindruckt. Kurz vor dem „Landeanflug“ dürfen dann noch mal alle Bandmitglieder ran: Es hagelt gut gemachte Soli, sogar Sänger und Maraca-Spieler Eglis Ochoa Hidalgo darf eine Einlage mit den Rumbanüssen zum Besten geben. Obwohl die Parkposition noch nicht endgültig erreicht ist, steht das Publikum komplett, feiert, tanzt und klatscht, die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Nach einer Zugabe – ab Punkt 22 Uhr ist Schluss im Kurpark – öffnen sich die Türen. Doch anders als im Flieger hat niemand Eile. Die kubanische Sonne im Herzen, treten die begeisterten Gäste den Heimweg an.

Manchmal ist weniger mehr – Michael Kaeshammer im Wiesbadener Kurpark

Nicht nur die Sonne lacht, als Michael Kaeshammer am Abend des 30. Juli die Bühne im Wiesbadener Kurpark betritt. Die Stimmung ist blendend und die Location liefert beste Voraussetzungen für einen tollen Konzertabend. Als der Deutsch-Kanadier sein Publikum mit ein paar Brocken Deutsch begrüßt, ist der weibliche Teil des Publikums seinem spitzbübischem Charme bereits erlegen. Und spätestens nach dem die ersten Songs erklingen und Kaeshammer das erste Solo in die Tasten haut, wird klar: Der Mann ist ein echter Entertainer, hat Talent im Überfluss und spielt auf einem absoluten Top-Niveau.

Boogie-Woogie ist sein Ding. Ganz klar. Das kann er, auf diesem Terrain fühlt er sich am Wohlsten. Wie auf seinem aktuellen Longplayer „Lovelight“ unternimmt der Musiker zwar immer wieder Ausflüge zu anderen Stilrichtungen, kehrt aber doch recht schnell wieder in die Welt von Fats Waller, Meade Lux Lewis und dem charakteristischen Bluesschema zurück. Leider kann er der großen musikalischen Bandbreite des Albums nicht vollends gerecht werden, einen Tick zu häufig fällt er in den Boogie Woogie-Stil zurück. Die Improvisationen indes sind brillant, die Töne zischen nur so von der Bühne, die Präzision und das Tempo sind atemberaubend. Dabei reiht sich Piano-Solo an Piano-Solo – drei, vier, fünf Minuten lang, kein Lied kommt ohne aus. Und genau da liegt das Problem. Denn das, was bei vielen Konzerten – meist aus Mangel an Talent – zu kurz kommt, übertreibt der Mann am Flügel zuweilen. Kaeshammer, der sich nach außen betont lässig gibt, strotzt nur so vor Kraft und Können, wirkt aber durch die andauernden Soli wie unter permanentem Rechtfertigungszwang, scheint sich mit jedem neuen Song selbst übertreffen zu müssen – obwohl das Publikum ihm sein großartiges Talent bereits ab der ersten Minute anerkennt und absolut nicht mit Applaus geizt.

Schnelle und temporeiche Songs bestimmen die erste Hälfte des Konzerts. Nur bei der Ballade „People Get Ready“, die den meisten durch die Version von Rod Steward bekannt sein dürfte, dominieren ein paar Minuten lang die ruhigeren Töne. Doch dann geht’s wieder voll zur Sache. Kaeshammer gestikuliert, tritt mit dem Fuß auf, klatscht, wirft sich vor und zurück, treibt die Band an und schaukelt mit dem Klavierhocker von links nach rechts. Die Musiker machen ihre Sache gut, allen voran „Rhythmus-Maschine“ Mark McLean am Schlagzeug und Marc Rogers am Bass. Die Bläser-Sektion hat leider wenig Raum, doch wenn die drei Jungs spielen, dann druckvoll und mit viel Leidenschaft. Nach dem Titeltrack des Albums „Lovelight“ und einem musikalischen Ausflug in die Südstaaten mit „If You’re Going To New Orleans“ ist Pause.

Die zweite Halbzeit startet sehr verheißungsvoll mit „Goodbye“, ebenfalls vom aktuellen Album. Nach der Ballade „Dawn’s Song“, die für mich noch immer Parallelen zu „Stille Nacht“ aufweist, liefern sich der „Piano-Man“ und Drummer McLean ein furioses Frage- und Antwort-Spiel, bei dem der Schlagzeuger eine extra bereitgestellte Snare-Drum malträtiert – und Kaeshammer die Tasten bearbeitet. Das macht Spaß, die Stimmung im Publikum wird immer besser. Als der talentierte Musiker „Do You Know What It Means To Miss New Orleans“ anspielt, singen die Ersten mit. Kurz vor 22 Uhr ist das Publikum voll eingegroovt. Alle warten auf eine Zugabe. Doch um zehn ist Schluss, ein Tribut an die klagefreudigen Anwohner der Parkstraße, die auch am Freitag Abend ihre Ruhe wollen. „Three minutes left!“ ruft es aus dem Publikum. „Three minutes?“ Das lässt sich Kaeshammer nicht zweimal sagen, pfeift seine Musiker zurück auf die Bühne und präsentiert eine herrlich swingende Nummer als krönenden Abschluss. Drei Minuten lang. Zeit für ein ausgedehntes Piano-Solo bleibt keine – und trotzdem klingt es großartig! Es geht doch…

Präzision trifft Tempo: Das James Carter Quintet begeistert im Rüsselsheimer Stadttheater

James Carter gehört zu den ganz Großen unter den Jazz-Saxophonisten. Entsprechend hoch war die Erwartungshaltung, als der in Detroit geborene Musiker am 25. Juli mit seinem „James Carter Quintet“ Station im Rüsselsheimer Stadttheater machte. Selbst der ehemalige Verteidigungs-Minister Franz-Josef Jung war gekommen, um dem Konzertereignis beizuwohnen.

Und die Erwartungen wurden mehr als erfüllt: Alle fünf Musiker präsentieren sich auf höchstem Niveau, sind absolute Meister ihres Fachs und gehen mit schier unglaublicher Präzision zu Werke – kein Wunder, dass das Konzert vom Deutschlandfunk mitgeschnitten wurde. Dabei sind die Songs wie „Bossa J. C.“ oder „Sussa Nita“, die zum Großteil aus dem aktuellen Album „Present Tense“ stammen, nur so gespickt mit grandiosen Solo-Einlagen, virtuosen Improvisationen und strotzen vor herrlich swingendem Groove. James Carter kennt das Saxophon in- und auswendig, hat sein Instrument perfekt unter Kontrolle, entlockt ihm dumpfe, helle, teils schreiende und quietschende Töne, die sich zu einem heiseren Röhren steigern und dem Publikum einiges abfordern. Dann wechselt er zur Querflöte, lässt die Arpeggien in ungeahnte Höhen perlen – und nimmt sich bei der nächsten Nummer die Klarinette vor. Hier und da schüttelt er mal eben noch Melodien aus Gershwins „Summertime“ oder Stevie Wonders „Isn’t She Lovely“ aus dem Ärmel – Grandios.

Das Tempo, welches er und seine Musiker mitunter gehen, sprengt alle Grenzen. Und trotzdem bleibt Zeit für kleine Scherze unter Kollegen. Die Stimmung auf der Bühne ist super, es wird viel gelacht. Besonders gefallen haben mir Trompeter Corey Wilkes, der mit erstklassigen Soli für Begeisterung sorgt und Gerard Gibbs am Flügel. Und auch der Pianist geht nicht gerade zimperlich mit seinem Instrument um, entpuppt sich als ein wahrer Tasten-Quäler, der gerne mal mit dem Ellenbogen nachhilft um das Klangerlebnis perfekt zu machen. Drummer Leonard King behält auch in hektischen Passagen den Überblick, Ralphe Armstrong zupft, streich(el)t und klopft die Saiten seines Kontrabasses absolut souverrän und bekommt mehrfach Szenenapplaus für sein Können.

Nach rund 100 Minuten verabschiedet sich das Quintett, für eine Zugabe kommen nur Carter und Bass-Mann Armstrong zurück. Es folgt der fröhlich swingende Song „Living My Life“, in dem sich Saxophon und Bass wunderbar ergänzen und gegenseitig zitieren. Ein gekonnter Schlusspunkt für ein großartiges Konzert.

Singin’ in the rain: Milow spielt bei strömendem Regen auf der Zitadelle – Grandiose Vorband Yodelice verzaubert das Mainzer Publikum

Der Himmel ist wolkenverhangen, als Sänger Yodelice, eigentlich Maxime Nouchy, mit seiner dreiköpfigen Band die Bühne im Innenhof der Mainzer Zitadelle betritt. Es sieht verdächtig nach Regen aus. Mit gemischten Gefühlen lauschen die Konzertbesucher deshalb den ersten Takten, doch dann wird klar: Die Jungs können richtig was! Und zwar nicht zu knapp: Emotional, melancholisch, gleichzeitig aber auch rockig und sehr kraftvoll gehen die Franzosen zu Werk. Kein Bass, dafür ein Cello, die Bassdrum spielt der Frontmann meist selbst und die Kostüme plus Make-up scheinen direkt aus der Garderobe von Tim Burtons „Alice im Wunderland“ zu stammen. Die Musik ist definitiv etwas Besonderes, sie reißt mit, begeistert – vor allem, weil niemand mit einem solchen Konzert gerechnet hat. Das Publikum feiert die Musiker frenetisch, die 45 Minuten gehen viel zu schnell vorbei.

Zur Pause kommt der Regen. Erst in ein paar Tropfen, dann stärker, schließlich gießt es wie aus Eimern. Um kurz nach 20 Uhr betritt die Band die Bühne. Milow selbst ist noch nicht zu sehen, aber zu hören. Unter tosendem Applaus kommt der 28-jährige Belgier nach vorne, bedankt sich bei seinen Fans und verspricht, so lange zu spielen, bis das der Regen aufhört. Ob er das halten kann? Abwarten. Denn erstmal gibt Milow, mit bürgerlichem Namen Jonathan Vandenbroeck, seine Songs zum Besten, spielt in seinem unverwechselbar perkussiven Stil die Gitarre und singt dazu mal laut und ausdrucksstark, mal leise und hochemotional.

Das Programm präsentiert sich als gut ausgewählter Mix aus Songs seiner Alben „Milow“ und „The Bigger Picture“, darunter „Canada“, „Until The Morning Comes“ oder „One Of It“, sein erster großer Hit. Und auch wenn sich die meisten am Regenschirm festhalten oder die nassen Haare aus der Stirn wischen: Plötzlich sind alle Hände oben und die Ersten singen mit. Milow lacht, freut sich und spricht seinen vom Regen gepeinigten Zuhörern Mut zu. Unterstützt wird er von seiner fünfköpfigen Band, die zwar gut gefällt, aber sicherlich ein paar Soli mehr hätte bringen können. Schön: Immer wieder kommen Zitate von Songs wie Van Morrissons „Brown Eyed Girl“ oder „Knockin’ On Heavens Door“ zum Vorschein, selbst der Deep Purple-Klassiker „Smoke On The Water“ wird gekonnt eingebaut.

Nach ein paar Songs bekommt die Band eine kurze Auszeit: Nur noch Milow, seine Gitarre und Background-Sängerin Nina Babet sind auf der Bühne. Begeisterung bricht los, als er die ersten Töne seiner Ballade „Out Of My Hands“ anstimmt, der erst kürzlich als Duett zusammen mit Marit Larsen veröffentlicht wurde. Und dann passiert etwas Magisches: Für einen Augenblick ist es mucksmäuschenstill – nur das Prasseln des Regens ist zu hören, dazu die warme Stimme von Milow und ein ausklingender Gitarrenakkord. Als der Belgier zum Refrain ansetzt, singt die ganze Menge mit: „Out of my reach, out of my hands… I didn’t understand…“ – Gänsehaut-Feeling pur! Keine Minute später sind die ersten Wunderkerzen angezündet, ein herrliches Gefühl macht sich trotz – oder gerade wegen – des immer stärker werdenden Regens bemerkbar.

Es folgen die beiden großen Hits, zuerst „You Don’t Know“, dann das R&B-Cover „Ayo Technology“. Letzterer in einer zehnminütigen Version, für die sich der Künstler sogar selbst in den Regen begibt und zusammen mit seinen Fans vor der Bühne feiert. Fast 90 Minuten spielt Milow das reguläre Programm. Dann folgen die Zugaben. Wo andere nach drei lieblosen Minuten das Handtuch werfen, drehen der Mann an der Gitarre und seine Band noch mal so richtig auf: Auf „In My Pocket“ folgt die emotionale Ballade „Launching Ships“, Zugabe Nummer drei ist „Building Bridges“. Die ersten wollen schon hochzufrieden den Heimweg antreten, da wird klar: Eine(r) geht noch!

Nach vier Zugaben und fast 110 Minuten Spielzeit gehen die Lichter dann definitiv aus, der Regen indes macht weiter. Sein Versprechen hat der sympathische Belgier also nicht halten können. Böse wird ihm trotzdem keiner sein – so viel steht mal fest.

Vorstellungskraft: Herbie Hancock Group mit „The Imagine Project“ im Mainzer Volkspark

Wenn sich Herbie Hancock für ein Konzert anmeldet, werden gerne die Superlative bemüht – in den meisten Fällen zurecht. Doch diesmal war der experimentier-freudige Musiker mit seinem jüngst erschienen Album „The Imagine Project“ unterwegs, das von einigen Kritikern als „zu poppig“ bewertet wurde. Die Besonderheit: Auf dem Longplayer sind Musiker aus aller Welt vereint, ob aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder Europa. Fast alle Kontinente und Stilrichtungen sind vertreten, von Pink, über John Legend, von Seal über die afrikanische Band Konono No 1 bis hin zu India.Arie oder Multiinstrumentalist Marcus Miller. Sogar Los Lobos und die irischen Urgesteine der Chieftains waren mit an Bord. Die Erwartungshaltung war entsprechend groß, ob es denn gelingen würde, diese musikalische Vielfalt in den Mainzer Volkspark zu transferieren.

Um es gleich vorweg zu nehmen – nicht ganz. Auch wenn die Band am Abend des 15. Juli 2010 ihr Bestes gab. Auch wenn die Einspieler anderer Sängerinnen und Sänger vom Rechner problemlos klappte. Und auch, wenn die musikalische Darbietung auf einem absolut bemerkenswerten Niveau stattfand. Denn eine solche Bandbreite an Klangeindrücken funktioniert auf einer Bühne mit sechs Musikern immer nur bedingt.

Trotzdem: Ein tolles Konzert! Alleine schon die John Lennon Nummer „Imagine“, die als hymnische Ballade beginnt und plötzlich richtig fetzig wird, überzeugt schon nach den ersten Takten. Und auch Peter Gabriels „Don’t Give Up“, gekrönt von der kristallklaren Stimme Kristina Trains, die verdächtig (gut) nach Jonatha Brooke klingt macht Lust auf mehr. Kein Song endet, wie er begonnen hat, die Einflüsse reichen von Fusion über Pop bis hin zu Bossa Nova. Immer wieder gibt es neue Einspieler. Viel abwechslungsreicher kann man ein Konzert nicht gestalten, so viel steht fest.

Und während die Sonne den Mainzer Volkspark in glänzendes, rot-oranges Licht taucht, lässt der Meister auf der Bühne eine grandiose Version seines Hits „Cantaloupe Island“ auf das begeisterte Publikum los. Natürlich mit den typischen Improvisationen und der absolut funkigen Spielweise, die ihn so berühmt gemacht hat. Kurz vor Schluss steht ein Medley der Songs „The Times, They Are A Changin'“ und „A Change Is Gonna Come“ auf dem Programm. Während der erste der beiden von der virtuosen Bassistin Tal Wilkenfeld gesungen wird, darf Keyboarder Greg Phillinganes bei Titel Nummer zwei ans Mikrofon. Und beide machen ihre Sache richtig, richtig gut.

Nach 90 Minuten ist Schluss, für zwei Zugaben kommt ein spürbar gut gelaunter Herbie Hancock zurück auf die Bühne. Schön, dass diesmal auch das Wetter mitgespielt hat. Und sogar die Mainzer Vögel hatten ganz offensichtlich ihre helle Freude am Auftritt: In einigen stillen Passagen machten sie das Piano-Solo mit ihrem Gezwitscher zu einem echten Frage- und Antwortspiel…

Großartige Musik und ein Unwetter zur Pause – David Sanborn und Tower Of Power in Mainz

Die Stimmung ist gut, die Sonne knallt vom Himmel – fehlen eigentlich nur noch die passende Musik und ein kühles Bier. Genauso sollte ein Open Air Konzert beginnen! Kaum ausgesprochen, geht es auch schon los, als Saxophonist David Sanborn, Drummer-Legende Steve Gadd und Organist Joey DeFrancesco am Mittwoch, den 14. Juli um kurz nach sieben die Bühne im Mainzer Volkspark betreten. Bluesig und soulig startet der Abend, die drei Spitzenmusiker sind gut gelaunt und haben merklich Spaß daran, das zahlreich erschienene Publikum mit ihren Songs zu unterhalten. Die meisten stammen von Sanborns jüngstem Album „Only Everything“ und glänzen durch brilliante Arrangements und furiose Soli auf allen drei Instrumenten. Mit dabei sind aber auch Songs wie „Let The Good Times Roll“ oder dem Jazz-Standard „Basin Street Blues“. Der Mann an der Orgel singt hier und da mit weicher Stimme.

Fast scheint alles perfekt, aber dann wird schnell klar, was Sache ist. Innerhalb von Minuten verdunkelt sich der Himmel, Blitze zucken von allen Seiten. Und während die ersten Gäste schon die Flucht ergreifen, fliegen Bauzäune durch die Gegend, brechen meterlange Äste von den Bäumen und Sonnenschirme fliegen davon. Kurz, bevor die Welt ganz unterzugehen scheint, kämpft sich Ludwig Jantzer, Programmplaner des Frankfurter Hofs und verantwortlich für die „Summer in the City“-Konzerte, durch Regen und heftige Windböen nach vorne ans Mikrofon und verkündet, dass es nach dem Unwetter mit Tower Of Power weitergehen wird.

Rund eine halbe Stunde später hat sich der Sturzbach vom Himmel in ein paar harmlose Tröpfchen verwandelt, der Himmel ist heller, die Luft merklich abgekühlt. Es kann also weitergehen. Die Uhr zeigt Viertel von neun, als die Soul & Funk-Titanen aus Oakland, Kalifornien, die ersten Grooves auf das fast vollständig zurückgekehrte Publikum loslassen. Dass die Stühle nass sind, scheint kaum jemand zu interessieren, denn spätestens ab Lied Nummer 2, „Soul With A Capital S“ grooven und tanzen fast alle im Stehen. Bei „Only So Much Oil In The Ground“, mit Sicherheit ein kleiner Seitenhieb auf die andauernden Versuche, das Ölbohrloch im Golf von Mexiko zu schließen, steht der gesamte Volkspark. Es folgt der für „TOP“ so typische Mix aus souligen Balladen und teuflisch groovenden Uptempo-Stücken, alten Songs aus den 1970er und 1980er Jahren bis hin zum aktuellen Cover „Me And Mrs. Jones“, gekrönt durch die absolut beeindruckende Stimme von Larry Braggs, dem Mann am Mikrofon. Natürlich dürfen auch die obligatorischen Tracks wie „What Is Hip?“ oder „Diggin‘ On James Brown“ nicht fehlen. Letzteres ist eingebettet in das Medley „Star Time“, welches vom neuesten Album „Great American Soulbook“ stammt – und eine Verbeugung vor dem verstorbenen Meister des Rhythm & Blues höchstselbst ist. Erstmals mit der Band auf Deutschland-Tour ist Gitarrist Jerry Cortez. Und der Mann überzeugt auf Anhieb, spielt gleich mehrere brilliante Soli und weiß auch gestandene Tower Of Power Fans, die ja eher Verfechter des Blechbläser-lastigen Sounds sind, innerhalb von Sekunden mit seiner Spielfreude zu überzeugen.

Nach rund 85 Minuten ist Schluss, mit den beiden Zugaben „You’re Still A Young Man“ und dem Kracher „Souled Out“ entlassen die US-Amerikaner ihr hochzufriedenes Publikum in die mittlerweile laue Sommernacht. An ein Gewitter kann sich kaum noch jemand erinnern, höchstens ein kleines bißchen Wetterleuchten, denn zwei so grandiose Konzerte lassen alle anderen Eindrücke des Abends einfach verblassen, äh… abblitzen, pardon: im Regen stehen!

Papa Loves Mambo – Tom Gaebel und Sarahs Ballroom eröffnen Jazz & Joy 2010 auf dem Weckerlingplatz

Weckerlingplatz Worms, Freitag Abend bei bestem Wetter. Perfekte Rahmenbedingungen für einen schönen Wochenausklang. Kurz nach 19h geht’s los, als Sarah Lipfert mit ihrem Quartett Sarah’s Ballroom auf die Bühne kommt. Zwar ist noch niemand da, der sie hätte ankündigen können, aber das nimmt die Mannheimerin kurzerhand selbst in die Hand. Und während im Schatten des Wormser Doms langsam die Sonne untergeht, geht sie auf der Bühne auf: Schöne Melodien, gediegene Töne und gekonnte Soli bringen die zahlreichen Gäste in Stimmung.

Nach der Eröffnungsrede des Wormser Bürgermeisters und einer kurzen Ansprache von Doris Ahnen, der rheinland-pfälzischen Ministerin für Bildung und Kultur, kommt Tom Gaebel mit seiner elfköpfigen Big Band auf die Bühne. Erster Song: Frank Sinatra’s „New York, New York“. Und schon s(w)ingen die Ersten mit. Doch „Mr. Good Life“, der am 4. Juni seinen 35. Geburtstag feiert, setzt direkt nach – und spielt die fetzige Nummer „Am I The Same Guy?“, ein Song aus seinem Album „Don’t Wanna Dance“. Danach wird es soulig – Gaebel hat die Ray Charles Gedächtnisbrille aufgesetzt und gibt „Hallelujah, I Just Love Her So“ sehr authentisch und mit voller Inbrunst zum Besten. Die Stimmung im Publikum steigt – klar, denn bislang standen nur bekannte Lieder mit hohem „Mitsing-Faktor“ auf der Setliste. Nach einem kleinen Ausflug in südlichere Gefilde mit „Papa Loves Mambo“ und dem Funk-Kracher „Papa’s Got A Brand New Bag“ kommt mit „Just Help Yourself“ der erste – und leider auch einzige – Track des neuen Albums. Schade, denn da hätte ein klein wenig mehr Abwechslung gut getan.

Die Big Band präsentiert sich in Topform, die Solo-Darbietungen sind klasse und Gaebel selbst sichtlich gut gelaunt. Zwar nicht immer 100 % textsicher, aber für jeden Spaß zu haben, schäkert er mit den Wormsern und schickt Grüße zu Nena, die ein paar hundert Meter Luftlinie weiter das zweite Auftaktkonzert des Jazz & Joy Festivals 2010 gibt. Nicht fehlen darf der obligatorische „Drum-Battle“, für den extra ein kleines Schlagzeug für den Multiinstrumentalisten Gaebel aufgebaut wird: Zehn Minuten Schlagzeugsalven und ein rhythmisches Frage- und Antwort-Spiel zwischen Bandleader und Drummer Florian Bungardt begeistern das Publikum. Die Zuhörer(innen) danken es mit großem Applaus. Und spätestens jetzt hat sich der Weckerlingplatz auch so richtig eingegroovt, die ersten Weingläser fallen und der Liebfrauenriesling ergießt sich über die Tische. Doch das tut der Stimmung keinen Abbruch: Schon lange vor den beiden Zugaben gibt es Standing Ovations. Und als Gaebel für „Good Life“ und „Bad Bad Leroy Brown“ noch einmal zurück auf die Bühne kommt, stehen und tanzen fast alle.

To Billie With Love – Dee Dee Bridgewater in der Alten Oper Frankfurt

Termine, Stress und wie immer viel zu wenig Zeit, um von A nach B zu kommen. Aber heute hat es sich wirklich gelohnt, denn Dee Dee Bridgewater hatte in die Alte Oper Frankfurt geladen. Und ein solches Date sollte man als Mann mit Geschmack und Sinn für Jazz definitiv nicht auslassen.

Die Alte Oper Frankfurt ist ja nun nicht wirklich dafür bekannt, dass es Jazz-Künstler leicht haben, das Publikum aus der Reserve zu locken. Aber Dee Dee Bridgewater vermag diese eherne Regel mit einem Augenaufschlag und ein paar ersten Tönen komplett außer Kraft zu setzen – und dabei das Publikum komplett zu verzaubern. Der Abend steht – genau wie die jüngst veröffentlichte CD – unter dem Motto „To Billie With Love – A Celebration of Lady Day“. Gemeint ist damit keine geringere als Billie Holiday (1915 – 1959), eine der größten Jazzsängerinnen des vergangenen Jahrhunderts. Dabei präsentiert sich die Amerikanerin in bester Laune, scherzt und witzelt mit dem dankbaren Publikum, und interpretiert die Billie Holiday-Songs auf eine wunderbare Art und Weise, die in dieser Form absolut ihresgleichen sucht.

Alle Songs des Abends sind von Pianist Edsel Gomez arrangiert und scheinen der stimmgewaltigen Dee Dee Bridgewater geradezu auf den Leib geschrieben zu sein. Und auch die übrigen Mitglieder der Band sind absolute Meister ihrer Kunst: Gregory Hutchinson am Schlagzeug, Stefan Lievestro am Bass und vor allem der mit fast schon unverschämtem Talent gesegnete Craig Handy am Saxophon und an der Querflöte liefern den perfekten (Klang)teppich für ihre Sängerin und brennen dabei ein echtes Blues- und Swingfeuerwerk ab.

Mit auf der Playlist stehen Jazz-Standards wie „Don’t Explain“, „You’ve Changed“ oder „Mothers‘ Son-in-Law“. Letzteres als Bass und Gesang-only Version. Fingerschnippen und Mitswingen ist angesagt. Das Programm ist abwechslungsreich und hält die ein oder andere Überraschung bereit: Auf langsame Blues-Nummern folgt fetziger New Orleans-Jazz, „A Foggy Day“ präsentiert sich als swingender Uptempo Feger – kein Vergleich zur Version von Michae Bublé! Die Sängerin selbst wirft ihre unglaubliche Stimme voll in die Waagschale – ob rau und kratzig wie Sandpapier oder warm und weich wie ein guter Cognac. Mal scattet sie, dass es eine wahre Freude ist, mal imitiert sie eine geschlossene Posaune täuschend echt. Das Publikum ist völlig aus dem Häuschen und feiert frenetisch. Nach über 90 Minuten entlässt Dee Dee Bridgewater ihre nun komplett stehenden Zuhörer mit dem Song „All Of Me“.

Um in dieser Analogie zu bleiben: Ich hoffe natürlich, inständig, dass das noch nicht alles war, was ich von der gleichermaßen charmanten wie charismatischen Sängerin live gehört habe – und auf ein baldiges Wiedersehen!

Eine wahre Freude – Sammy Nestico und die SWR Big Band beim Jazz Lights Festival 2010

Wenn von Samuel Lewis „Sammy“ Nestico die Rede ist, greifen geneigte Musik-Kritiker besonders gerne in die Schublade mit der Aufschrift „Superlative“. Richtig so, denn wenn einer im Musikgeschäft den Titel „Legende“ verdient, dann der 86-jährige Musiker, Komponist und Arrangeur – hat der Amerikaner doch schon mit der Crème de la Crème der internationalen Musikszene zusammengearbeitet, darunter Jazzgrößen wie Count Basie, Frank Sinatra oder Benny Goodman, aber auch Phil Collins oder Sarah Vaughn.  Und das schon zu einer Zeit, in der noch kein DSDS-Finalist unsere Radiofrequenzen mit peinlichem Plastik-Pop verstopfen konnte – und Dieter Bohlen nicht einmal in Planung war.

Doch zurück zum großen Meister. Am Freitag, den 19. März, trat er im Rahmen des Jazzfestivals „Jazz Lights 2010“ im Oberkochener Carl Zeiss-Saal auf – zusammen mit der hochkarätigst besetzten SWR-Big Band. Und die spielt unter Nestico’s Leitung die Tracks der 2008 gemeinsam aufgenommenen CD „Fun Time“ nicht nur mit einer großartigen Präzision, sondern auch – und genau das macht den Unterschied – mit verdammt viel Gefühl. Das können nicht viele. Ob diese Tatsache nun mehrheitlich dem Einfluss des charismatischen Bandleaders geschuldet ist – oder aber dem überragenden Können der Musiker selbst, bleibt offen.

Knapp zwei Stunden werden – mit kurzer Pause – durchgespielt. Dabei zeigt sich der eigens für Sammy Nestico bereitgestellte Stuhl komplett verwaist, denn der Meister swingt bei jedem Lied mit, kennt jeden Bläsereinsatz aus dem ff, dirigiert, gestikuliert und tanzt trotz seiner 86 Jahre auf der Bühne, dass es eine wahre Freude ist. Zwischen den Songs plaudert der Ausnahme-Musiker aus dem Nähkästchen und gibt Anekdoten aus seinem bewegten Leben zum Besten. Die Stimmung ist grandios, Nestico selbst spürbar gut gelaunt – und das Programm hält mit Stücken wie dem Jazz-Standard „Bye Bye Blues“, Benny Goodmans „King Porter Stomp“ oder „Struttin‘ With Some Barbecue“, einer fetzigen Hommage an Louis Armstrong, ein paar echte Leckerbissen bereit. Typisch Big Band: Zeit für Soli ist reichlich. Und davon machen die Musiker auch ausgiebig Gebrauch. Besonders gut gefallen haben mir der überragende Karl Farrent an der Trompete und am Flügelhorn, sowie Klaus Graf und Steffen Weber am Saxophon.

Sammy Nestico und die SWR Big Band treten am 24. und 25.03. im Raum Stuttgart auf. Wer die Chance hat, sich eines der Konzerte anzuschauen, sollte es tun.